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Nichts, was uns viel bedeutet, ist leicht


von Christine, Mai 2021



Der Sommer war langsam und heiss. Dem Klimawandel sei Dank. 2018 würde ein guter Jahrgang werden. Maria Maketa saß auf dem schräg wachsenden Baumstamm und ließ die Füsse ins blaue Wasser baumeln. Nicht weit entfernt stand Bettina bis zur Hüfte im See. Die braunen Locken umspielten ihr Gesicht. Sie spürte offenbar Marias Blick und wandte ihr den Kopf zu. Ein Lächeln ließ ihre Zähne und ihr ganzes Gesicht leuchten. Bettina war glücklich. „Wenn ich die Chemo überlebe, lass ich mich scheiden“, hatte sie gesagt. Sie hatte die Chemo überlebt. „Lass ihn zischen, ´s gibt ´n Frischen.“ Das hatten sie sich vor mehr als 20 Jahren gegenseitig geraten, wenn Liebeskummer ins Haus stand. Bettina hatte ihn zischen lassen. Die Scheidung hatte sie nicht eingereicht. Im Angesicht des Streukrebses hatte sie sich dagegen entschieden. Wer weiß, ob sie das Ende des Scheidungsprozesses noch erlebt hätte.

Maria ließ sich vorne über ins Wasser kippen und tauchte zu Bettina hinüber.

„Willst du rüber schwimmen zur Insel?“

„Lieber am Rand entlang.“

Sie schwammen zwischen den Blesshühnern durch das glitzernde Wasser.

„Und?“ fragte Maria. „Gibt’s ´nen Frischen?“

Bettina lächelte wieder ihr strahlendes Lächeln.

„Aber sag's nicht den Kindern.“


Ein Jahr später war Bettina tot. Beim Leichenschmaus gab es Rotwein von 2018. Es war ein guter Jahrgang geworden.






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